Nein! zum Agentengesetz
Stand: 4. Juni 2024
Trotz wochenlanger Massenproteste hat das Parlament von Georgien am 28. Mai 2024 ein umstrittenes Gesetz zur schärferen Kontrolle der Zivilgesellschaft verabschiedet.
Ein Gesetz nach russischem Vorbild
Es ist die Annahme eines russischen Gesetzes auf russische Art und Weise.
Salome Surabischwili, Staatspräsidentin Georgiens
Ein nahezu identisches Gesetz war unter der Bezeichnung "Gesetz über ausländische Agenten" bereits vor einem Jahr auf der Tagesordnung, auch damals sind viele - vor allem junge Georgier - auf die Straße gegangen, um gegen die Verabschiedung zu demonstrieren. Mit Erfolg, die Regierung musste das Gesetz zurückziehen.
Dieses Jahr heißt es "Gesetz über die Transparenz ausländischer Einflussnahme" und nur wenige Monate vor den Parlamentswahlen erzwang die Regierungspartei "Georgischer Traum" seine Durchsetzung gegen den massiven Protest der Zivilgesellschaft und selbst gegen das Veto der georgischen Staatspräsidentin Salome Surabishvili, die das Gesetz entschieden ablehnt.
Transparenz oder Kontrolle
Das Gesetz sieht vor, dass sich Nichtregierungsorganisationen und Medien, die mehr als 20 Prozent ihrer Mittel aus dem Ausland erhalten, als Einrichtungen registrieren lassen müssen, welche „die Interessen einer ausländischen Macht verfolgen“.
Die Regierung argumentiert, dass das Gesetz die Transparenz erhöhen würde, während aufmerksame Beobachter eindeutige Parallelen zu dem in Russland erlassenen Gesetz gegen sogenannte ausländische Agenten sehen, das dazu genutzt wird, massiv gegen die Opposition und unabhängige Medien vorzugehen.
Betroffen sind alle zivilgesellschaftliche Organisationen: Nichtstaatliche Medien, unabhängige Wahlbeobachter, sowie karitative, soziale und kulturelle Organisationen, für die es in einem wirtschaftlich schwachen Land wie Georgien, keine staatliche Unterstützung gibt und die auf die Zuschüsse aus dem Ausland angewiesen sind.
Die Brisanz des Gesetzes liegt nicht in der Forderung nach mehr Transparenz der Finanzen - sämtliche Finanzen waren auch vorher schon verfassungsgemäß transparent und für den Staat zugänglich - sondern die grundsätzliche Diskreditierung betroffener Organisationen als Organ "einer fremden Macht".
Betroffene Organisationen werden bereits durch den hohen Verwaltungsaufwand (Registrierungs-, Anmeldungs- sowie undeutlich formulierten Berichts- und Anzeigepflichten) mürbe gemacht, bei gleichzeitig absurd hohen Strafen für jedes Versäumnis. Mehr Infos
Außerdem ist es den Behörden erlaubt, die Mitarbeiter zu zwingen, private Informationen, wie religiöse Zugehörigkeit, Sexuelle Orientierung und politische Aktivitäten offenzulegen.
EU-Beitritt bedroht
Die EU-Kommision betonte, das Gesetz verstoße gegen die Grundprinzipien und Werte der EU und dass es in seiner jetzigen Fassung fundamentale Fehler gebe, die erhebliche negative Folgen hätten für die Meinungs- und Versammlungsfreiheit, das Recht auf Privatleben und das Recht, sich gesellschaftlich zu engagieren.
Die EU hat unmissverständlich und wiederholt erklärt, dass Geist und Inhalt des Gesetzes nicht mit den grundlegenden Normen und Werten der EU im Einklang stehen. Mit dem Gesetz wird die Arbeit der Zivilgesellschaft und unabhängiger Medien untergraben.
Josep Borrell, Hoher Vertreter für Sicherheits- und Außenpolitik
Konkret wird in der Erklärung kritisiert, dass das neue Gesetz in mindestens drei von neun Bereichen für Rückschritte sorgt, die für den EU-Beitrittsprozess wichtig seien: Der Kampf gegen eine Polarisierung der Gesellschaft und Desinformation sowie Schutz der Menschenrechte und der freies Agieren der Zivilgesellschaft.
Scharf kritisiert wird auch das gewaltsame Vorgehen der Regierung gegen die Demonstranten.
Die Einschüchterung, Drohungen und körperlichen Übergriffe auf Vertreter der Zivilgesellschaft, führende Politiker und Journalisten sowie ihre Familien sind inakzeptabel. Wir fordern die georgischen Behörden auf, diese dokumentierten Handlungen zu untersuchen..
Josep Borrell
Generation Z
Die wochenlangen Proteste zeigen ein neues Phänomen: die Unerschrockenheit und Entschlossenheit vor allem jugendlicher Demonstranten. Mehrere Versuche der Regierung, die Veranstaltungen gewaltsam mit Pfefferspray und Wasserwerfer aufzulösen, scheiterten am zähen Widerstand und brachte nur noch mehr Menschen auf die Straße.
Es wird der Protestbewegung jedoch längst nicht mehr gerecht, von einem reinen Widerstand der Jugend zu sprechen. Auf den Veranstaltungen findet sich das gesamte Spektrum der Gesellschaft und sämtliche Altersklassen, die in dem Gesetz einen direkten Angriff auf ihre demokratischen Grundrechte sehen und die Entwicklung in ein autoritäres Regime befürchten.
Es handelt sich auch nicht um eine kleine Gegnerschaft, sondern um Massendemonstrationen mit regelmäßig zehntausenden Teilnehmern, wie es sie zu keiner Zeit davor in Georgien gegeben hat.
Der Weg nach Europa
Unabhängigkeit und eine Europäische Zukunft sind die zwei zentralen Themen, die die georgische Gesellschaft vereint.
Ungeachtet aller innenpolitischen Gegensätze herrschte darüber seit der Unabhängigkeit Georgiens 1991 immer Einigkeit. Der Weg nach Europa war das, was uns einte. Deshalb setzt der "Georgische Traum" nicht nur die Zukunft des Landes aufs Spiel, er unterhöhlt den einzigen gesellschaftlichen Konsens, den es gibt.
Tamta Melaschwili, Schriftstellerin
Entsprechend groß ist die Entrüstung darüber, dass die Regierung, die für ihr Versprechen einer Orientierung Richtung EU gewählt wurde, nun diesen Annäherungsprozess blockiert. Die Tatsache, dass die Regierung diese Stimmen nicht nur ignoriert, sondern diffamiert und gewaltsam zu unterdrücken versucht, bestätigt den Verdacht eines autoritären und pro-russischen Kurswechsels.
80 bis 85 Prozent der Menschen hier wollen nach Europa. Nicht, weil sie alle wissen, worum es bei der Europäischen Union im Detail geht. Nein, sie verstehen, dass - wenn es keine europäische Gemeinschaft um uns herum gibt - die Unabhängigkeit Georgiens auf dem Spiel steht.
Salome Surabischwili, Staatspräsidentin Georgiens
Was ist speziell am Russischen Agentengesetz
Das russische Agentengesetz unterscheidet sich grundlegend vom amerikanischen. Während das amerikanische Gesetz eingeführt wurde, um Nationalsozialistische Propaganda zu unterbinden, also den gezielten Angriff auf die Politik aus dem Ausland, zielt das russische Gesetz auf die Kontrolle aller Nichtregierungsorganisationen.
Der wohl gravierendste Unterschied des US-amerikanischen "Foreign Agents Registry Act" (FARA) zum russischen NKO-Gesetz liegt dabei in der Verbindung der Merkmale "Zuwendung" und "politische Tätigkeit". Nach FARA ist eine Kategorisierung als "Foreign Agent" nur dann möglich, wenn konkrete Beweise dafür vorgelegt werden, dass der Verein die aus dem Ausland erhaltene Zuwendung im Auftrag und Sinne des Spenders für politische Tätigkeiten genutzt hat. Das russische Gesetz fordert diese Verbindung nicht.
Bundeszentrale für politische Bildung
Außerdem muss das amerikanische Justizministerium Beweise der Einstufung liefern, in Russland müssen die eingestuften Organisationen ihre Unschuld beweisen.
Quellen und weiterführende Links:
Empfehlenswerte Artikel:
Zaal Andronikaschwili: Jung, kreativ und im Widerstand - taz, 18.05.2024
Gastbeitrag von Tamta Melaschwili - Süddeutsche Zeitung, 29.05.2024
weiterführende Links:
Erklärung auf der Webseite der Europäischen Kommission, 15.05.2024
Interview mit Präsidentin Salome Surabischwili, ARD 15.05.2024
weitere Quellen:
Parlament beschließt "Agentengesetzt" - ZDF heute, 28.05.2024
Proteste gegen "Russisches Gesetz" setzen sich fort - Die Zeit, 23.05.2024
Veto überstimmt - ARD Tagesschau, 28.05.2024